Zwei Seelen wohnen in meiner Brust!
Dieses Problem, das schon den Gelehrten Faust plagte, stellte sich auch dem
Mercedes-McLaren SLR. Er der erste Supersportwagen mit Stern seit Jahrzehnten. Als Inspiration
diente der Rennwagen 300 SLR aus den 50er Jahren. Wie sein Vorfahr sollte
der SLR leicht, schnell und agil sein, ein Rennauto für die Straße. Deshalb
entwickelte man in Kooperation mit dem damaligen Formel1-Partner McLaren eine aufwendige
Karosserie komplett aus Kohlefaser. Sehr leicht, sehr
stabil. Dem Kühlergrill wurde sogar eine F1-Nase verpasst. Dann aber lief das
Projekt aus dem Ruder. Mercedes verbaute einen schweren
V8-Kompressor, ein Automatikgetriebe, eine Klimaanlage und Ledersitze
und wog damit den Gewichtsvorteil der teuren CFK-Konstruktion wieder auf. Denn der SLR sollte nicht nur schnell, sondern auch komfortabel sein. Bei McLaren rauften die Ingenieuere sich die Haare. Der SLR kommt auf ein DIN-Gewicht von 1768 kg. Mercedes entschied, das Übergewicht auf die einfache Art zu
kompensieren: Mehr Leistung. Ursprünglich sollte der Achtzylinder 557 PS leisten, nun waren es über 600.
Der SLR breitet seine Flügel aus. Foto: Autofieber. |
Da auch die Entwicklungskosten ausuferten, entschied man
sich bei Motor und Getriebe auf Bauteile aus dem Konzernbaukasten
zurückzugreifen. Beim Motor fiel die Wahl auf eine modifizierte Version des M113 E50
von AMG. Der nun M155 genannte V8 mit 5,5 Litern Hubraum leistet dank des
IHI-Kompressors 626 PS und 780 Nm. Die Trockensumpfschmierung ermöglicht einen möglichst tiefen Einbau des Motors. Das NAG-V, (neues Automatikgetriebe
verstärkt) mit fünf Fahrstufen stammte aus dem großem Maybach und war mehr auf
Komfort als auf Sportlichkeit ausgelegt. Kurioserweise übernahm man mit dem
Maybach-Getriebe auch dessen zwei Rückwärtsgänge, von denen der SLR aber nur einen
nutzen kann.
Und damit kommen wir wieder auf die
zwei Seelen in einer Brust zu sprechen. Er sollte Sportler und Gran Turismo zugleich
sein, konnte aber diesen widersprüchlichen Anforderungen nicht gerecht werden. Mit der ultraleichten Karosserie und
dem großen Namen nahm der SLR glaubwürdige Anleihen beim Rennsport. Aber das hohe Gewicht und das träge Getriebe verhindern sportliches Fahren, für entspannte Langstreckenfahrten ist das Fahrwerk zu hart abgestimmt. Auch die Sondereditionen 722 (mehr Leistung) und Stirling Moss (neue, futuristische Karosserie) konnten die Verkäufe nicht steigern. 2009
wurde der SLR nach nur 2.800 verkauften Exemplaren eingestellt und durch den SLS AMG ersetzt.
Der SLR und sein "Enkel", der AMG GT. Foto: Autofieber. |
Doch gerade wegen seiner Widersprüche ist
der SLR so faszinierend. Seine damaligen Konkurrenten, Ferrari Enzo,
Lamborghini Murcielago und Porsche Carrera GT konnten diese Mischung aus Alltagstauglichkeit und Sport nicht bieten. Der SLR kann trotz seiner 626 PS ganz entspannt im Verkehr mitschwimmen, dann den Sprint auf 300 km/h absolvieren und schließlich zum Einkauf in den Supermarkt fahren (bei 270 Liter Kofferraumvolumen). Die aufwendig konstruierten
Flügeltüren und der donnernde V8 garantieren einen angemessenen Auftritt, egal wo. Trotzdem war der Unterschied zu den AMG-Modellen von SL
und CL nicht groß genug, um den Mehrpreis von fast 200.000 € zu rechtfertigen. Der SLR bleibt ein kurioses Kapitel in der Geschichte der Firma, ein gescheiterter Versuch, einen Rennwagen für die Straße zu bauen. In keiner Brust ist genug Platz für zwei Seelen, nicht in der Faustens und auch nicht in dieser.
Text and Picture: © autofieber.blogspot.de - 2017
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